Montag, 28. November 2022

~ Leseprobe: 'Als die letzte Stunde schlug' ~

 


Im Laufe der Zeit trug ich viele Namen. Das Geschehnis vermag ich nicht zu verhindern. Ich spüre lediglich sein Bevorstehen – als seltsame Spannung in der Luft; wie stilles, unheilvolles Wispern auf den Schwingen des Windes … Und sobald es eintrifft, bin ich zur Stelle. Immer.
Von einem grünen Hügel aus sah ich das Städtchen vor mir im blutig roten Sonnenuntergang. Aus der Ferne ließ sich flackernder Fackelschein erspähen und melodische Klänge drangen leise an mein Ohr. Wahrlich, dort in den Gassen herrschte lustvolles Treiben. Die Todgeweihten tanzten ihren letzten Tanz – arg- und ahnungslos. Emsigen Maden ähnlich, die flink über den verwesenden Leib krochen, nicht wissend, dass ihr eigenes Ende ebenfalls nahte.
Das Fest war schon seit den frühen Stunden im munteren Gange. Vermutlich strömte das Volk im Anschluss an die Heilige Messe aus der Kirche hinaus auf den Marktplatz; glücklich über den einen Tag, an dem man die Arbeit niederlegte, um sich nach Herzenslust des Lebens zu freuen. Auch auswärtige Besucher eilten aus allen Himmelsrichtungen jenseits der Stadtmauer herbei. Bis oben hin mit Kisten und Kästen beladene Viehkarren rollten unaufhörlich durchs große Tor. Bereits mit dem ersten Hahnenschrei hatte sich Fahrendes Volk genähert. In bunt bemalten Wagen reiste ein Wanderzirkus an: Artisten, Schausteller und Seiltänzer, Zauberkünstler und froh gesinnte Narren, die einen mächtigen Bären im Käfig mit sich führten. Händler aus weit entfernten Gegenden, die während des halben Jahres von einem Markt zum nächsten zogen, trafen ein, um wundersame Waren aus entlegensten Winkeln der Welt feilzubieten.
Bereits seit dem Morgengrauen hockte ich auf dem Hügel, um den regen Trubel unbemerkt zu verfolgen. Erst mit den Abendschatten würde der Schrecken seine abscheuliche Fratze zeigen, nicht schon vor Einbruch der Dunkelheit nach menschlichem Blut verlangen – doch um mich innerlich vorzubereiten, benötigte ich stets eine gewisse Zeitspanne. Die sich anbahnende Katastrophe würde einen beträchtlichen Teil meiner Kraft kosten. Diesmal näherte sich etwas Großes, Gewaltiges. Das spürte ich deutlich von den Haarspitzen bis zu den Zehen: eine grauenhafte Gewissheit, die mich in sämtlichen Knochen schmerzte ...


© Christian Tobias Krug

Als die letzte Stunde schlug 
in:

Jahrmarkt der Mysterien - Horrorgeschichten aus dem Mittelalter
Burgenwelt Verlag
ISBN: 978-3-943531-86-2
ISBN (epub): 978-3-943531-87-9
312 Seiten

~ Der Krieg zwischen Himmel und Hölle ... ~

  ...  geht in die ZWEITE Runde !! Überarbeite grade fleißig das Skript zu So dunkel das Zwielicht 2 Dämonen, Engel, Abenteuer, Magie und v...

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Maira Gall